Henrietta macht sich nackig  Leseprobe 1
© PfO&Ph 2005 - 2024
Praxis für OSTEOPATHIE & PHYSIOTHERAPIE
In den nächsten Tagen wurde für Henrietta alles zu einem Übungsfeld. Beim Picken, der Federpflege, beim Eierlegen, ja selbst in Gesprächen mit anderen, versuchte sie immer wieder den Boden unter ihren Hühnerfüßen, ihren eigenen Körper und seine Grenzen, aufkommende Gefühle und geschwätzige Gedanken wahrzunehmen. Mit der Zeit merkte sie, dass sie sich in Schleifen bewegte. Immer die gleichen Gedanken und immer dieselben Gefühle. Auch wenn sie ihren unbewussten Seiten langsam immer mehr auf die Schliche kam, veränderten sich doch manche Dinge gar nicht. Sie kehrten immer wieder. Während sie am Drahtzaun hinter dem Stall, dort wo die fettesten Würmer zu finden waren, in der Wiese wühlte, fragte sie sich:“ Warum verändern sich manche Dinge nicht, obwohl ich mich so anstrenge?“ „Vielleicht weil deine Methode nicht funktioniert?“ kam die Antwort von außerhalb des Zauns. Henrietta schaute auf und sah in ein großes grünes Katzenauge. Mit einem Schrei flatterte sie vom Zaun weg. „Keine Sorge, Huhn. Ich hatte grade köstliche Kaninchenterrine mit Karottenstückchen und Borretschöl von meinem Frauchen, ich bin also mehr als satt. Komm wieder näher, ich kann Dir vielleicht bei deinem Sackgassenproblem weiterhelfen.“ Henrietta kam zögerlich wieder etwas näher zurück zum Zaun. „Mein Sackgassenproblem? Wie meinst du das, Katze?“ „Es gibt einen Punkt am Weg zur Selbsterkenntnis, wo wir den Verstand nicht mehr mitnehmen können. Da müssen wir den Kopf und alles was wir sind, zurücklassen.“ „Ich weiß was du beschreibst. Wenn Hühner den Kopf verlieren, dann können sie noch eine Weile herumlaufen. Aber dass das zu Selbsterkenntnis führt, bezweifle ich.“ „So meine ich das auch nicht, Huhn. Ich spreche davon, dass wir mit unserem Willen nur bis zu einem bestimmten Punkt gelangen können. Ab da geht es nur mehr darum leer zu werden und in Hingabe und Vertrauen zu sein.“ „Wie soll denn das bitte gehen, Katze?“ „Meditieren kann sehr hilfreich dabei sein, das zu üben.“ „Hmmm. Ich kenne nur mitspazieren. Mit Luise. Die macht am Donnerstag immer einen Powerwalk. Da kriegen wir stramme Hühnerkeulen davon. Und da können wir miteinander gackern, die ganzen 45 Minuten!“ „Nein, Huhn, genau das Gegenteil. Meditieren ist das nach Innen gehen und Stillwerden. Ganz mit sich verbunden und so, dass das Außen von einem abfällt.“ „Das Außen fällt ab? Aber dann bin ich ja nackt! Das ist glaube ich nicht das Richtige für mich. Ich bin sehr schüchtern, weißt du?“ „Huhn, mit Außen ist die Umgebung gemeint. Alles was nicht du bist. Deine Gedanken, deine Meinungen über dich, deine Glaubenssätze, deine Pläne für morgen.“ „Ah, also nicht nackt. Gott sei Dank!“ „Naja, genau genommen schon nackt. Aber nur für sich selbst.“ Henrietta verstand nicht. „Nackt oder nicht nackt. Das ist für mich die Frage.“ „Es geht darum, dass du ganz still wirst, und alle Gedanken, Gefühle und Zipperlein im Körper zulässt und wieder gehen lässt. Bis du leerer und leerer wirst.“ Die Katze fuhr fort: „Du kennst das sicher: Bevor wir uns hinlegen können, müssen wir ein paar Runden im Kreis drehen, und dann glauben wir, wir können uns schon hinlegen, aber dann doch noch nicht, noch eine Runde, und dann noch zwei in die andere Richtung und dann – endlich – die Erleichterung. Dann können wir hinsinken, auf das weiche Katzenbett, ganz darin versinken, hineinschmelzen in die weiche Oberfläche, uns ausbreiten. Wie im Himmel.“ Henrietta schaute die Katze an. „Also wenn ich das in meinem Nest mache, dann bin ich morgen beim Hühnerdoktor.“ „Die Methode ist auswechselbar. Du kannst auch chanten, dich in Trance tanzen, Expressionsmalerei versuchen oder trommeln.“ „Katze, all das führt in meinem Fall immer wieder an denselben Ort: die Praxis des Doktors für Federvieh.“ „Verstehe. Ja, was wäre denn dann für dich möglich?“, fragte sich die Katze. Sie überlegte während sie sich die Schulter leckte. „Ist es nicht so, dass ihr Hühner euch in euren Nestern niederlasst. So, dass das ganze Nest mit Huhn ausgefüllt ist?“ „Ja, so machen wir das. Ah, ich verstehe! Es ist wie die Hingabe an das Nest, das mich und mein Gewicht ganz aufnimmt und hält, so dass ich alles loslassen kann, und dennoch geschützt bin.“ „Das ist es, Huhn. Das ist deine Meditationsmetapher.“ „Gut, und dann?“ „Dann bleibst du in diesem Zustand. Denn ab da, gibt es für dich nichts mehr zu tun außer Hingabe. Du bleibst in dieser Leere, dem Frieden und der Bereitschaft, und dann wirst du abgeholt.“ „Ich werde abgeholt? Nein, das will ich nicht! Alle Hühner die abgeholt wurden, sind ohne Erklärungen nie mehr wiedergekommen.“ „Du wirst innerlich abgeholt. Eine höhere Macht übernimmt dann den Prozess. Gott. Oder die universelle Kraft. Oder eine geistige Energie.“ Der Schnabel von Henrietta formte sich zu einem großen „O“. „Ja, Huhn. Das ist möglich. Es werden dich eine Liebe, ein Frieden und eine Freude erfüllen, die du in diesem Ausmaß bisher noch nicht erfahren hast.“ „Und dafür muss ich nichts tun? Nur still und leer werden, bereit sein, vertrauen und mich hingeben?“ „Das ist der erste Teil, für den du zuständig bist. Und es ist eine Menge, die du da tust, oder besser gesagt nicht tust. Denn es ist ja eher ein Nicht-Tun. Der zweite Teil ist ein Geschenk. Wir bekommen es, weil wir geliebt sind.“ Henrietta bekam feuchte Augen. „Ja, das ist berührend, nicht wahr?“, sagte die Katze. „Gib dich hin, wie an das Nest. Übe leer und still zu werden und dann sei in diesem Zustand. Dann warte geduldig, ohne Erwartung, wann oder was geschieht. In reiner Bereitschaft.“ „Ich werde das gleich heute machen. Ich freue mich darauf. Danke, liebe Katze! Du hast mich etwas ganz Wichtiges gelehrt!“ „Gerne, Huhn. Ich tue mir damit auch einen Gefallen. Denn je mehr Wesen in einem wachen Zustand sind, desto schöner wird das Leben auf der Erde. Gutes Gelingen, liebes Huhn“ Motiviert und glücklich vergaß Henrietta die fetten Würmer und machte sich zurück auf den Weg zum Stall. „Nestübung“, murmelte sie. So eine weise Katze.
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In den nächsten Tagen wurde für Henrietta alles zu einem Übungsfeld. Beim Picken, der Federpflege, beim Eierlegen, ja selbst in Gesprächen mit anderen, versuchte sie immer wieder den Boden unter ihren Hühnerfüßen, ihren eigenen Körper und seine Grenzen, aufkommende Gefühle und geschwätzige Gedanken wahrzunehmen. Mit der Zeit merkte sie, dass sie sich in Schleifen bewegte. Immer die gleichen Gedanken und immer dieselben Gefühle. Auch wenn sie ihren unbewussten Seiten langsam immer mehr auf die Schliche kam, veränderten sich doch manche Dinge gar nicht. Sie kehrten immer wieder. Während sie am Drahtzaun hinter dem Stall, dort wo die fettesten Würmer zu finden waren, in der Wiese wühlte, fragte sie sich:“ Warum verändern sich manche Dinge nicht, obwohl ich mich so anstrenge?“ „Vielleicht weil deine Methode nicht funktioniert?“ kam die Antwort von außerhalb des Zauns. Henrietta schaute auf und sah in ein großes grünes Katzenauge. Mit einem Schrei flatterte sie vom Zaun weg. „Keine Sorge, Huhn. Ich hatte grade köstliche Kaninchenterrine mit Karottenstückchen und Borretschöl von meinem Frauchen, ich bin also mehr als satt. Komm wieder näher, ich kann Dir vielleicht bei deinem Sackgassenproblem weiterhelfen.“ Henrietta kam zögerlich wieder etwas näher zurück zum Zaun. „Mein Sackgassenproblem? Wie meinst du das, Katze?“ „Es gibt einen Punkt am Weg zur Selbsterkenntnis, wo wir den Verstand nicht mehr mitnehmen können. Da müssen wir den Kopf und alles was wir sind, zurücklassen.“ „Ich weiß was du beschreibst. Wenn Hühner den Kopf verlieren, dann können sie noch eine Weile herumlaufen. Aber dass das zu Selbsterkenntnis führt, bezweifle ich.“ „So meine ich das auch nicht, Huhn. Ich spreche davon, dass wir mit unserem Willen nur bis zu einem bestimmten Punkt gelangen können. Ab da geht es nur mehr darum leer zu werden und in Hingabe und Vertrauen zu sein.“ „Wie soll denn das bitte gehen, Katze?“ „Meditieren kann sehr hilfreich dabei sein, das zu üben.“ „Hmmm. Ich kenne nur mitspazieren. Mit Luise. Die macht am Donnerstag immer einen Powerwalk. Da kriegen wir stramme Hühnerkeulen davon. Und da können wir miteinander gackern, die ganzen 45 Minuten!“ „Nein, Huhn, genau das Gegenteil. Meditieren ist das nach Innen gehen und Stillwerden. Ganz mit sich verbunden und so, dass das Außen von einem abfällt.“ „Das Außen fällt ab? Aber dann bin ich ja nackt! Das ist glaube ich nicht das Richtige für mich. Ich bin sehr schüchtern, weißt du?“ „Huhn, mit Außen ist die Umgebung gemeint. Alles was nicht du bist. Deine Gedanken, deine Meinungen über dich, deine Glaubenssätze, deine Pläne für morgen.“ „Ah, also nicht nackt. Gott sei Dank!“ „Naja, genau genommen schon nackt. Aber nur für sich selbst.“ Henrietta verstand nicht. „Nackt oder nicht nackt. Das ist für mich die Frage.“ „Es geht darum, dass du ganz still wirst, und alle Gedanken, Gefühle und Zipperlein im Körper zulässt und wieder gehen lässt. Bis du leerer und leerer wirst.“ Die Katze fuhr fort: „Du kennst das sicher: Bevor wir uns hinlegen können, müssen wir ein paar Runden im Kreis drehen, und dann glauben wir, wir können uns schon hinlegen, aber dann doch noch nicht, noch eine Runde, und dann noch zwei in die andere Richtung und dann – endlich – die Erleichterung. Dann können wir hinsinken, auf das weiche Katzenbett, ganz darin versinken, hineinschmelzen in die weiche Oberfläche, uns ausbreiten. Wie im Himmel.“ Henrietta schaute die Katze an. „Also wenn ich das in meinem Nest mache, dann bin ich morgen beim Hühnerdoktor.“ „Die Methode ist auswechselbar. Du kannst auch chanten, dich in Trance tanzen, Expressionsmalerei versuchen oder trommeln.“ „Katze, all das führt in meinem Fall immer wieder an denselben Ort: die Praxis des Doktors für Federvieh.“ „Verstehe. Ja, was wäre denn dann für dich möglich?“, fragte sich die Katze. Sie überlegte während sie sich die Schulter leckte. „Ist es nicht so, dass ihr Hühner euch in euren Nestern niederlasst. So, dass das ganze Nest mit Huhn ausgefüllt ist?“ „Ja, so machen wir das. Ah, ich verstehe! Es ist wie die Hingabe an das Nest, das mich und mein Gewicht ganz aufnimmt und hält, so dass ich alles loslassen kann, und dennoch geschützt bin.“ „Das ist es, Huhn. Das ist deine Meditationsmetapher.“ „Gut, und dann?“ „Dann bleibst du in diesem Zustand. Denn ab da, gibt es für dich nichts mehr zu tun außer Hingabe. Du bleibst in dieser Leere, dem Frieden und der Bereitschaft, und dann wirst du abgeholt.“ „Ich werde abgeholt? Nein, das will ich nicht! Alle Hühner die abgeholt wurden, sind ohne Erklärungen nie mehr wiedergekommen.“ „Du wirst innerlich abgeholt. Eine höhere Macht übernimmt dann den Prozess. Gott. Oder die universelle Kraft. Oder eine geistige Energie.“ Der Schnabel von Henrietta formte sich zu einem großen „O“. „Ja, Huhn. Das ist möglich. Es werden dich eine Liebe, ein Frieden und eine Freude erfüllen, die du in diesem Ausmaß bisher noch nicht erfahren hast.“ „Und dafür muss ich nichts tun? Nur still und leer werden, bereit sein, vertrauen und mich hingeben?“ „Das ist der erste Teil, für den du zuständig bist. Und es ist eine Menge, die du da tust, oder besser gesagt nicht tust. Denn es ist ja eher ein Nicht-Tun. Der zweite Teil ist ein Geschenk. Wir bekommen es, weil wir geliebt sind.“ Henrietta bekam feuchte Augen. „Ja, das ist berührend, nicht wahr?“, sagte die Katze. „Gib dich hin, wie an das Nest. Übe leer und still zu werden und dann sei in diesem Zustand. Dann warte geduldig, ohne Erwartung, wann oder was geschieht. In reiner Bereitschaft.“ „Ich werde das gleich heute machen. Ich freue mich darauf. Danke, liebe Katze! Du hast mich etwas ganz Wichtiges gelehrt!“ „Gerne, Huhn. Ich tue mir damit auch einen Gefallen. Denn je mehr Wesen in einem wachen Zustand sind, desto schöner wird das Leben auf der Erde. Gutes Gelingen, liebes Huhn“ Motiviert und glücklich vergaß Henrietta die fetten Würmer und machte sich zurück auf den Weg zum Stall. „Nestübung“, murmelte sie. So eine weise Katze.
© PfO&Ph 2005 -2024
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